YURDUM SOCIAL ECO VILLAGE
Die Geschichte des YURDUM SOCIAL ECO VILLAGE, des ersten Pilotprojekts einer solidarischen, ländlichen Lebens- und Wohngemeinschaft mit erwachsenen Menschen mit Assistenzbedarf in Aserbaidschan seit April 2024, ist eng mit meiner persönlichen Biografie verwoben. Um die Entstehungsgeschichte dieser Initiative wirklich zu verstehen, ist es wichtig, mit einer geschichtlichen Perspektive meines Heimatlandes zu beginnen, in dem dieses Projekt umgesetzt wurde.
Das Land Aserbeidschan und seine Geschichte
Aserbaidschan liegt an der Grenze zwischen Europa und Asien und ist ein Land von außergewöhnlicher Vielfalt. Vom majestätischen Gebirge bis zum fruchtbaren Tiefland ist das Land ein Mosaik aus ökologischem Reichtum und kulturellem Erbe. Im Laufe seiner Geschichte wurde Aserbaidschan durch seine einzigartige geografische Lage geprägt und zu einem Schmelztiegel der Zivilisationen und Traditionen. Die Herzlichkeit seiner Menschen und die Unverwüstlichkeit seiner Gemeinschaften sind charakteristisch für seinen beständigen Geist.
Die Besiedlung des Gebiets des heutigen Aserbaidschan reicht bis zwei Millionen Jahre zurück. Aserbaidschans tiefe historische Wurzeln – von den Asych-Höhlen bis zur Ära des kaukasischen Albaniens – und seine Position als Kreuzungspunkt der Zivilisationen lassen die faszinierende Geschichte dieses Landes deutlich werden. Die modernen Herausforderungen des Landes, einschließlich der anhaltenden Auswirkungen der Vertreibung der Bevölkerung aufgrund historischer Umstände, unterstreichen die Widerstandsfähigkeit der Menschen in diesem Land. Die kulturelle und religiöse Vielfalt des Landes und die zunehmende Bedeutung des Englischen neben Aserbaidschanisch und Russisch spiegeln die Dynamik der Gesellschaft wider.
Aserbaidschan war von 1918 bis 1920 eine unabhängige demokratische Republik, wurde dann jedoch von sowjetischen Truppen überfallen und in die Sowjetunion eingegliedert, was zur Gründung der Aserbaidschanischen SSR führte, die 71 Jahre lang bis zum Zusammenbruch der UdSSR im Jahr 1991 Bestand hatte. Nach der Wiederherstellung der Unabhängigkeit im Jahr 1991 stand Aserbaidschan vor großen Herausforderungen, darunter der Karabach-Krieg, der einen massiven Zustrom von Flüchtlingen und eine schwere Wirtschaftskrise auslöste. Heute ist Aserbaidschan ein Land mit mittlerem Einkommen in der Südkaukasusregion und einer Bevölkerung von etwa 10 Millionen Menschen, von denen die Mehrheit in städtischen Gebieten lebt. Wie in anderen postsowjetischen Ländern sind Menschen mit Assistenzbedarf auch in Aserbaidschan häufig mit erheblichen Problemen, sozialer Isolation, eingeschränkter Autonomie und unfreiwilliger Heimunterbringung konfrontiert – ein Überbleibsel aus der Sowjetära. Diese Probleme sind auf systemische Barrieren und gesellschaftliche Denkmuster zurückzuführen, die die volle Teilhabe dieser Menschen an der Gesellschaft erschweren. Die Einrichtung von sozioökologischen Siedlungen, kleinen, unterstützenden Gemeinschaften, die angemessene Betreuung, medizinische Unterstützung und Möglichkeiten für Bildung, Arbeit und Handwerk bieten, stellt eine vielversprechende moderne Lösung dar.
Zur Situation von Menschen mit Assistenzbedarf heute
Diese Umgebungen können das Wohlbefinden und die Integration von Menschen mit Assistenzbedarf verbessern. Die nationale sozioökonomische Entwicklungsstrategie 2022–2026 betont die Inklusion von Menschen mit Assistenzbedarf und zielt darauf ab, die Zugänglichkeit der öffentlichen Infrastruktur zu verbessern, die soziale Unterstützung zu stärken und die Menschen in den Arbeitsmarkt zu integrieren. Das aserbaidschanische System der psychischen Gesundheitsfürsorge wird derzeit umfassend reformiert, um einen Übergang von der institutionellen Betreuung zu gemeindenahen Diensten zu schaffen. Zu den wichtigsten Aspekten dieses Wandels gehören die Deinstitutionalisierung, die Verbesserung der Versorgungsqualität, die Integration der psychischen Gesundheit in die primäre Gesundheitsversorgung und die Einführung moderner sozialräumlicher Angebote. Trotz dieser Fortschritte bleiben Herausforderungen bestehen, darunter die gesellschaftliche Stigmatisierung, Unsicherheiten bei der Verteilung der Zuständigkeiten zwischen dem Gesundheitsministerium und der staatlichen Agentur für die obligatorische Krankenversicherung sowie ein Mangel an Personal, insbesondere in ländlichen Gebieten. Nichtsdestotrotz setzt Aserbaidschan den Übergang zu einem inklusiven, sozialraumorientierten System der psychischen Gesundheitsversorgung fort.
Über das Yurdum Social Eco Village
Die Reise des YURDUM SOCIAL ECO VILLAGE begann mit einer einfachen, aber wirkungsvollen Idee: eine therapeutische Wohngemeinschaft auf dem Land für Menschen mit Assistenzbedarf zu gründen, in der soziale, handwerkliche, kulturelle und pädagogische Aktivitäten sowie biologisch-dynamische Landwirtschaft integriert sind. Diese Idee wurde nicht isoliert geboren; sie entsprang einem tiefen persönlichen Verständnis für die Bedürfnisse von Erwachsenen mit Entwicklungs- und kognitiven Beeinträchtigungen sowie dem Potenzial für ökologische und soziale Veränderungen durch intentionale Lebensweisen.
Das YURDUM SOCIAL ECO VILLAGE möchte ein Gefühl der Zugehörigkeit fördern, in dem Bewohner:innen und Betreuende in einem inklusiven Umfeld gleichberechtigt nebeneinander leben. Dieses Modell trägt dazu bei, die Kluft zwischen Menschen mit Assistenzbedarf und der Gesellschaft zu überbrücken und gegenseitiges Verständnis und Zusammenarbeit zu fördern.
YURDUM ist einerseits von der Camphill-Bewegung inspiriert, bezieht aber andererseits aserbaidschanische Traditionen, Werte und lokale Praktiken ein, um kulturelle Relevanz und Akzeptanz in der Gemeinschaft zu gewährleisten. Dazu gehören auch Ernährungsgewohnheiten, soziale Bräuche und lokale Praktiken zur Förderung des Gemeinschaftssinns.
Hauptmerkmale des Projekts:
- Förderung ländlicher Aktivitäten
Kunsthandwerk und Gartenarbeit bilden den Kern der täglichen Aktivitäten der Gemeinschaft. Diese Praktiken sind therapeutisch, fördern die Entwicklung von Fähigkeiten und bieten den Bewohner:innen die Möglichkeit, einer sinnvollen, kreativen und produktiven Arbeit nachzugehen. - Unterstützung bei der sozialen Integration
Geschultes Personal hilft den Bewohnenden beim Übergang von der stationären Unterbringung in die Freiheit und Verantwortung des sozialräumlichen Lebens. Dazu gehört die Unterstützung bei der selbständigen Lebensführung, der Kommunikation und der Entscheidungsfindung, um die Bewohnende im Laufe der Zeit zu größerer Selbstbestimmung zu ermutigen.
Unser Projekt, YURDUM ECO VILLAGE, wird von der Nichtregierungsorganisation Humayun unterstützt und hat vom «Ministerium für Arbeit und sozialen Schutz der Bevölkerung» finanzielle Unterstützung erhalten, um ein Pilotprojekt zu schaffen, das die Realisierbarkeit einer solchen sozialen Öko-Siedlung demonstriert. «Yurdum», was mit «meine Heimat, mein Ufer» übersetzt werden kann, wurde im April 2024 ins Leben gerufen. Derzeit betreiben wir ein Tageszentrum in der historischen Altstadt von Baku, in einem zweistöckigen Gebäude aus dem Jahr 1800, das an einen Park angrenzt. Die Gründung des Projekts ist eine von Frauen geführte Initiative, die von einem gemeinsamen Engagement für Inklusion, Nachhaltigkeit und Gemeinschaftsbildung getragen wird. Mit begrenzten Mitteln, aber grenzenloser Entschlossenheit haben wir uns auf den Weg gemacht, um einen Traum Wirklichkeit werden zu lassen. Heute dreht sich unsere Arbeit um ein inklusives und förderliches Umfeld für unsere 12 Bewohnende, junge Erwachsene mit besonderen Bedürfnissen und Herausforderungen, Vorlieben und Ambitionen. Die Atmosphäre, die wir schaffen, basiert auf Liebe und liebevoller Zuwendung zum Einzelnen und bildet eine solide Grundlage für diese Gemeinschaft.
Das Team
Unser Team besteht aus Vafa Khalilova, deren frühere Erfahrung im Zentrum «Rozkalni» in Lettland einen wertvollen Rahmen für die Schaffung der nährenden Umgebung von YURDUM und die tägliche Koordination bietet. Unsere medizinischen Fachkräfte Frangis Hanim und Teymur-Muallim bringen ihr Fachwissen bei der Behandlung einer Vielzahl von Krankheiten ein.
Ich bin für die Weiterentwicklung und die Öffentlichkeitsarbeit zuständig. Mein beruflicher Weg begann als Kardiologin im Diagnostikzentrum der Republik, als Aserbaidschan noch Teil der UdSSR war. Aufgrund familiärer Umstände siedelte ich später in die USA über, wo ich mich anpassen musste, viel lernen musste und die volle staatliche Zulassung im Gesundheitssystem erwarb. Ich lernte integrative ganzheitliche Behandlungsmethoden kennen, darunter die anthroposophische Medizin mit ihrem Schwerpunkt auf Inklusivität, Gemeinschaftsbildung und der Integration verschiedener Heilmethoden. Ich habe gesehen, wie die Verschmelzung sozialer, pädagogischer und therapeutischer Praktiken Menschen mit Entwicklungsbeeinträchtigungen hilft, ihren Platz in der Gesellschaft zu finden. Ein wichtiger Aspekt ist die Einbeziehung von Familienmitgliedern und Freiwilligen in die Schaffung und Aufrechterhaltung von Gemeinschaftsprojekten. Diese Erfahrungen prägten meine Vision für die Zukunft und legten den Grundstein für meine derzeitige Arbeit an der Verwirklichung einer nachhaltigen, ländlich orientierten Gemeinschaft wie YURDUM, in der diese Prinzipien angewandt werden können. Heute stehen wir in Kontakt mit mehreren Zentren, die seit vielen Jahren erfolgreich in den USA, Lettland, Ungarn und Georgien tätig sind. Ihre Arbeit hat uns und unserem Team wertvolle Anregungen gegeben. Der Besuch dieser Gemeinschaften ermöglichte es uns, ihre organisatorischen Strukturen und Praktiken aus erster Hand zu studieren, was für die Nachahmung des Erfolgs in Aserbaidschan entscheidend ist. Dieser Wissensaustausch wird eine Schlüsselrolle bei der Gestaltung der Zukunft von YURDUM spielen. Wenn die Zeit reif ist, wird die Möglichkeit des Online-Lernens und der persönlichen Treffen diese Verbindungen hoffentlich weiter stärken und eine engere Zusammenarbeit und Unterstützung ermöglichen.
Zukunftsperspektiven
Bei YURDUM haben wir nun nach Ausbildungsmöglichkeiten für Fachleute in Sozialtherapie und biodynamischer Landwirtschaft für unsere Freiwilligen gesucht. Wir sicherten uns ein kleines Stück fruchtbares Ackerland im ländlichen Raum, das uns als lebendes Labor für saisonalen Gartenbau und biodynamische Experimente diente. Dieses Land wurde zum Herzstück unserer Bemühungen, wo wir begannen, auf das lokale Klima und die Bodenbedingungen zugeschnittene Methoden anzuwenden. Mit Blick auf die Zukunft träumen wir davon, ein Netzwerk von YURDUM-Gemeinschaften in ganz Aserbaidschan aufzubauen, die jeweils auf die ökologischen und kulturellen Besonderheiten ihrer Regionen zugeschnitten sind. Diese Gemeinschaften sollen als Leuchttürme der Hoffnung und der Innovation dienen und beweisen, dass eine solidarische Lebensweise und eine nachhaltige Landwirtschaft Leben und Landschaft gleichermaßen verändern können. YURDUM SOCIAL ECO VILLAGE ist mehr als ein Pilotprojekt, es ist ein Keim für die Zukunft. Es verkörpert die Überzeugung, dass jeder Einzelne, unabhängig von seinen Fähigkeiten, einen einzigartigen Beitrag zu unserer gemeinsamen Welt leisten kann. Es zeigt, dass ein nachhaltiges Leben nicht nur ein Ziel ist, sondern eine praktische Realität, wenn es mit Sorgfalt und positiver Absicht angegangen wird. Es spiegelt auch den beständigen Geist Aserbaidschans wider – eines Landes, das immer Stärke in seiner Vielfalt und Einheit gefunden hat.
von Zarema Jagizarov