Ausblick 2024: Die zwölfte Sektion der Freien Hochschule am Goetheanum

Ausblick 2024: Die zwölfte Sektion der Freien Hochschule am Goetheanum

Wir freuen uns, folgende Ankündigung der Goetheanum-Leitung zur zukünftigen Entwicklung unseres Arbeitsfeldes innerhalb der Freien Hochschule für Geisteswissenschaft auch hier mitteilen zu können. Auch über die weiteren Schritte werden wir im Laufe des kommenden Jahres hier informieren.


Die anthroposophische Sozialtherapie, Heilpädagogik, Begleitung von Menschen mit Assistenzbedarf und inklusive Sozialgestaltung vertritt seit 1979 der Anthroposophic Council for Inclusive Social Development (bis 2018 Konferenz für Heilpädagogik und Sozialtherapie), angeschlossen an die Medizinische Sektion.

Der Council arbeitet eng zusammen mit dem weltweiten Netzwerk der anthroposophischen Organisationen, Kollegen und Kolleginnen in diesem Feld. Zum einhundertsten Bestehen der anthroposophischen Heilpädagogik und Sozialtherapie haben Goetheanum-Leitung und Verantwortliche dieses Arbeitsfeldes im Herbst 2022 vereinbart, zum Jahr 2024 auf die Gründung einer eigenen (zwölften) Sektion hinzuarbeiten. Die Entscheidung dazu wurde auf der Sommerklausur der Goetheanum-Leitung getroffen. Das nun zwölfte eigenständige Lebensgebiet anthroposophischer Arbeit trägt den Namen ‹Sektion für Heilpädagogik und inklusive soziale Entwicklung›, beziehungsweise auf Englisch: ‹Section for Inclusive Social Development›.

Mit diesem Namen knüpfen die Verantwortlichen an das in Mitteleuropa etablierte Berufsbild der ‹Heilpädagogik› an und nehmen die interdisziplinäre Breite des Aufgabenfeldes in den Blick. In ihm sind pädagogische, soziale, therapeutische, künstlerische und weitere Berufsgruppen vereint, die sich für Teilhabe und inklusive Sozialräume engagieren. Was die Namensgebung anspruchsvoll macht, ist, dass die Arbeitsfelder international unterschiedlich verstanden und bezeichnet werden. Das gegenwärtige Leitungsteam des Anthroposophic Council for Inclusive Social Development, bestehend aus Jan Göschel, Bart Vanmechelen und Sonja Zausch, verantwortet weiterhin als leitendes Sektionskollegium die Arbeit des Fachbereichs. Als zukünftiger Sektionsleiter und Mitarbeiter in der Goetheanum-Leitung wurde Jan Göschel berufen. Die eigentliche Sektionsgründung soll im Rahmen der internationalen Tagung im Oktober 2024 gemeinsam mit Kolleginnen und Kollegen aus aller Welt vollzogen werden.

Originalveröffentlichung: Das Goetheanum, 17. August 2023


Eingliederung in die Hochschule als ganze

Beitrag aus: Anthroposophie weltweit, 29. August 2023

Sebastian Jüngel und das Leitungsteam des Council: Jan Göschel, Bart Vanmechelen und Sonja Zausch

Im ‹Heilpädagogischen Kurs› mahnt Rudolf Steiner die Zusammenarbeit der Sektionen der Freien Hochschule für Geisteswissenschaft an – als eigene Sektion wird das für dieses Handlungsfeld leichter.

Sebastian Jüngel Aus der 1979 gegründeten Konferenz für Heilpädagogik und Sozialtherapie wurde 2018 der Anthroposophic Council for Inclusive Social Development, beide als Teil der Medizinischen Sektion. Warum habt ihr eine Selbständigkeit – als eigene Sektion – angestrebt?

Teamantwort Das Bedürfnis, eine eigene Sektion für Heilpädagogik und inklusive soziale Entwicklung in der Freien Hochschule für Geisteswissenschaft zu sein, hat einerseits mit einem Prozess des Selbständig­werdens nach 100 Jahren zu tun, andererseits mit der Intention, unser Arbeitsfeld stärker in das Zentrum der Hochschule und den gesamten Kreis der Sektionen einzugliedern. Daher geht es uns im Kern darum, dasjenige, was in unserem Feld – in der Begleitung und Unterstützung von Menschen mit Assistenzbedarf – entwickelt wird, in die Entwicklung der Hochschule einzubringen, und unsere transdisziplinäre Zusammenarbeit mit allen Sektionen zu stärken.

Dabei bleibt die Medizinische Sektion ein wichtiger Partner, gleichzeitig wird die neue Situation deutlicher abbilden können, dass es sich nicht um ein medizinisches Fachgebiet handelt, sondern um menschliche Entwicklung und Sozialraumgestaltung, in die eigentlich aus allen Sektionen – also auch aus Pädagogik, Sozialwissenschaft, Landwirtschaft, den Künsten und so weiter – etwas hereinstrahlt, mal mehr aus dieser, mal mehr aus jener Richtung.

Wertschätzende Geste

Jüngel Die Besetzung bleibt gleich – ihr bildet zu dritt das Sektionskollegium, Jan Göschel vertritt die Sektion als Leiter in der Goetheanum-Leitung. Was ändert sich durch den Status als eigenständige Sektion?

Teamantwort Gegenwärtig ist das ja noch Zukunftsmusik. Wir wissen es also noch nicht wirklich. Die Sektionsgründung wird im Oktober 2024 im Rahmen der Inter­nationalen Tagung stattfinden, auf der wir auch das 100-jährige Jubiläum des ‹Heilpädagogischen Kurses› von Rudolf Steiner gemeinsam mit unseren Kolleginnen und Kollegen aus aller Welt feiern werden. Es ist ein Metamorphose-Prozess, ein organischer Entwicklungsschritt, durch den die Konfiguration, die wir jetzt für unser Arbeitsfeld haben, innerhalb der Hochschule in eine neue biografische Phase eintritt. Was sich jetzt schon deutlich zeigt, ist, dass dieser Weg ins Herz der Hochschule von Kolleginnen und Kollegen in unserem Feld als eine wertschätzende Geste erlebt wird, die Enthusiasmus und eine neue Energie freisetzen kann.

Jüngel Es gibt ja bereits Verbände in eurem Arbeitsfeld. Wie für die anderen Sektionen der Freien Hochschule für Geisteswissenschaft stellt sich die Frage, für wen ihr sprecht, für was ihr euch einsetzt.

Teamantwort Wir stehen mit einem relativ großen Netzwerk von Organisationen und Mitarbeitenden in einem komplexen und vielseitigen Praxisfeld in Verbindung. Als Hochschulsektion ist es unser Auftrag, geisteswissenschaftliche Forschung zu ermöglichen, die in diesem Praxisfeld wirksam werden und diese Praxis als Beitrag zu wichtigen gesellschaftlichen und Zeitfragen weiterführen kann.

‹Forschung› ist hier in einem erweiterten Sinn zu verstehen, nicht als rein akademische Angelegenheit. Dabei stehen zwei Fragerichtungen im Zentrum: Wie können wir individuelle Entwicklungs- und Lebenswege von früher Kindheit bis ins Alter so begleiten, dass auch unter komplexen Bedingungen eine gelingende Biografie möglich ist? Und wie können wir Gemeinschaft und Gesellschaft so gestalten, dass alle Menschen daran teilhaben können?

Das können wir nur gemeinsam forschend entdecken, wenn wir eine lebendige Verbindung über alle Ebenen schaffen können: vom inneren Schulungsweg und einem geistes­wissenschaftlich vertieften Blick auf den Menschen bis in die praktischen Belange, die im Begleitalltag oft im Vordergrund stehen, und in die Rahmenbedingungen, die diesen prägen. Dies so zu tun, dass dadurch eine fortlaufende und kollegial getragene Erkenntnis- und Entwicklungsdynamik entsteht, ist unsere Kernaufgabe.

Beziehungskünstlerische Perspektive

Jüngel Welche Aufgaben stehen für euch an?

Teamantwort Die konkreten Aufgaben, die sich aus der Umsetzung dieses Auftrags ergeben, sind in unseren Augen im Wesentlichen nicht neu: Tagungen, Publikationen, kollegialer Austausch, Reisen, Räume für die Arbeit an berufsesoterischen Fragen, Bildungsangebote – das alles wird weiter­gehen. Die Aufgabe ist nun, das im er­weiterten Kontext der Hochschule als ganzer einzubringen und die neuen Möglichkeiten zu einer breiter aufgestellten Zusammenarbeit, die sich daraus ergeben, gemeinsam mit den Kolleginnen und Kollegen aus anderen Sektionen und ihren Praxisfeldern verstärkt wahrzunehmen. Und das heißt auch, die Hochschule und das Goetheanum insgesamt mitzutragen.

Jüngel Wie blickt ihr auf 100 Jahre anthroposophisch-heilpädagogisch-sozialtherapeutischen Impuls 2024?

Teamantwort Zum einen wollen wir den Gründungsimpuls würdigen, der aus unserer Sicht noch immer zukunftsweisende Impulse enthält, die bei Weitem noch nicht aus­geschöpft sind. Diese liegen zum Beispiel im ‹beziehungskünstlerischen› Aufgaben­verständnis und in einer erweiterten Perspektive auf diejenigen Aspekte menschlicher Entwicklung, die heute unter dem Begriff ‹Embodiment› besprochen werden. Dazu läuft auch das Projekt, den Text des ‹Heilpädagogischen Kurses› neu heraus­zugeben und die Textgrundlage auf sicherere Füße zu stellen und parallel dazu einen Begleitband zu entwickeln, der wichtige Aspekte des Textes erschließen, kontextualisieren und damit für eine vertiefte Arbeit zugänglich machen soll.

Und dann wollen wir natürlich die Frage in den Mittelpunkt stellen: Was braucht die Welt von uns heute? Und in den kommenden Jahren? Was können wir anbieten, und wie müssen wir uns entwickeln, um auf neue – und auch unvorhersehbare – Bedingungen antworten und einen wirksamen Beitrag leisten zu können? Da sehen wir unter anderem große globale Herausforderungen, die sich auf die Bedingungen auswirken, unter denen Kinder und Jugendliche ihren Weg in ihre eigene Leiblichkeit und Biografie finden, und gleichzeitig den Willen, eine ‹inklusivere› Gesellschaft zu gestalten, oft ohne genügend Klarheit darüber zu haben, was das bedeuten und wie es wirklich gelingen kann.

Dass innerer Wandel unabdingbar ist, wenn äußerer Wandel, wenn soziale Transformation gelingen soll, das wird immer deutlicher. Wir möchten den Erfahrungsschatz von 100 Jahren gelebter Praxis heben, reflektieren und in eine Form bringen, die in die Dynamik der Gegenwart einfließen und sich dadurch selbst weiterentwickeln kann, ohne dass die Quelle versiegt.

Ins Fließen kommen – Heilung ermöglichen

Jüngel Welche humorvolle Seite hat euer Aufgabenfeld?

Teamantwort Ohne Humor geht eigentlich gar nichts. Wir versuchen trotzdem immer wieder, die Dinge humorlos zu regeln. Das kann man probieren, aber es klappt nie wirklich auf Dauer. Das wissen alle, die eine Weile in unserem Arbeitsfeld tätig waren – auch diejenigen, die zum Beispiel als junge Freiwillige eine Zeitlang dabei sind.

Da könnte man jetzt viele Anekdoten erzählen, von Situationen, in denen einfach irgendetwas nicht so abläuft, wie es die Gewohnheiten, Gepflogenheiten und die Ratio erwarten lassen. Das können ganz kleine Dinge sein, durch die dann Humor präsent wird. Humor, das heißt in der alten Medizin etwas Flüssiges, das heißt, es kommt etwas ins Fließen, und so wird ein Moment der Heilung möglich – eben auch im Sozialen.

Ein Gegenteil davon ist Zynismus, der manchmal als Humor aufgefasst wird, aber eine abwertende und verhärtende Geste hat. Auch dafür schärft sich der Blick in unserer Arbeit. Wenn Humor da ist, dann bricht das Menschliche durch und wird neu sichtbar.

Wir hoffen und erwarten jetzt, dass es in der Hochschule, in der Goetheanum-Leitung und im Goetheanum überhaupt auch fröhlich zugeht – und wollen da mitmachen, dass wir uns fröhlich und positiv über­raschend begegnen können. Überraschungen … – rechne immer mit dem Unvorstellbaren!