Besuch in Estland vom 22.–25. April 2025

Besuch in Estland vom 22.–25. April 2025

Bericht von Bart Vanmechelen

Als wir vom Flughafen Tallin ins Landesinnere Estlands fuhren, fiel mir als Erstes die weite, flache Landschaft auf. Birkenwälder und scheinbar endlose Felder und Wiesen erstreckten sich unter einem weiten Himmel, in dem Zugvögel auf der Suche nach ihren Brutplätzen umherflogen. Auf vielen Bauernhöfen standen Störche auf hohen Pfählen, ein wunderschöner Anblick, der die Harmonie der Region mit der Natur widerspiegelte.

Unser erstes Ziel war Pahkla Camphill Village, eine Wohn- und Arbeitsgemeinschaft für Menschen mit Assistenzbedarf, die 1992 gegründet wurde. Die Gemeinschaft fördert ein Umfeld, in dem jede:r ermutigt wird, seine und ihre Fähigkeiten zu entwickeln und einen sinnvollen Beitrag zu leisten – sei es durch Arbeit oder durch die Herstellung handgefertigter Produkte. In den Anfangsjahren diente Pahkla als Vorbild im ganzen Land.

Obwohl alle Voraussetzungen für eine blühende Gemeinschaft gegeben sind, steht sie derzeit vor Herausforderungen, beispielsweise weil immer mehr Menschen mit Assistenzbedarf auch mit psychischen Problemen belastet sind.

Ich gab eine Einführung, gefolgt von einem vertiefenden Gespräch darüber, wie die Anthroposophie die Suche nach geeigneten Unterstützungsangeboten für Menschen mit Doppeldiagnosen inspirieren kann.

Ein Rundgang über den Hof und durch die Werkstätten zeigte ein Umfeld mit großem Potenzial – aber auch einen dringenden Bedarf an einem erfahrenen Landwirt (Interessierte können sich unter admin@pahklack.org an das Team wenden).

Maarja Schule Tartu

Am nächsten Morgen ging die Reise weiter nach Tartu, wo ich von Jaanus Rooba herzlich empfangen wurde, um die heilpädagogische Maarja-Schule zu besuchen. Im Laufe der Jahre ist es der Schule gelungen, mit einem Neubau ergänzt die alten Gebäude in komfortable Klassenzimmer und Therapieräume umzuwandeln. Hier konnte ich an einer sehr lebhaften Musiktherapie-Sitzung von Cornelis und einem Malkurs von Monica teilnehmen. Es war schön zu sehen, mit wie viel Sorgfalt und Aufmerksamkeit auf die Details und die Individualität jedes einzelnen Kindes eingegangen wurde.

Am Nachmittag hielt ich einen Vortrag über Übungen für unsere professionelle Haltung und unser Einfühlungsvermögen, um die Kinder besser verstehen zu können. Im anschließenden Workshop übten wir in kleinen Gruppen unsere Fähigkeit, uns in die Gedanken, Gefühle und Motivationen anderer hineinzuversetzen, was zu faszinierenden Erkenntnissen führte.

Am Abend waren Mitglieder der Anthroposophischen Gesellschaft zu einem Vortrag über unsere neue Sektion im Kontext der Entwicklung der Freien Hochschule für Geisteswissenschaft und der Anthroposophischen Gesellschaft eingeladen. Es folgten lebhafte Diskussionen in kleineren Gruppen und eine Plenumsdiskussion, um weiter zu erörtern, welche neuen Initiativen in Estland in Zusammenarbeit mit den verschiedenen Organisationen und über die Sektion mit Kolleg:innen in anderen Ländern ergriffen werden könnten. Unter anderem wurde die Bedeutung der Zusammenarbeit mit Schulen hervorgehoben.

Am dritten Tag fand nach einer kurzen kulturellen Führung durch das Universitätsviertel ein Besuch im «Waldorf-Gymnasium» Tartu statt, wobei sich die Gespräche auch auf die zusätzliche Betreuung und Unterstützung konzentrierten, die immer mehr Kinder auch in ihren Klassen benötigen.

Zurück auf dem Maarja-Campus besuchten wir den sozialtherapeutischen Bereich von Maarja. Wir wurden von Dr. Helle Känd, der anthroposophischen Kinderärztin, die das Zentrum leitet, begrüßt. (Sie war noch sehr bewegt von den intensiven Erlebnissen des Vortags, als sie von der Regierung für ihr lebenslanges Engagement für Kinder mit Assistenzbedarf mit einem Preis ausgezeichnet wurde. Neben einer ausführlichen Führung durch das Internat, die relativ neuen Häuser für junge Erwachsene mit Autismus und die Werkstätten hatten wir ein sehr interessantes Gespräch über die Notwendigkeit, wissenschaftliche Erkenntnisse über die sozial-emotionale Entwicklung von Kindern mit geistiger Beeinträchtigung und Autismus in die Ausbildung der Mitarbeitenden einzubeziehen.

Am Nachmittag konnten wir einen kurzen Rundgang durch die Altstadt machen und besuchten anschließend das Therapiezentrum. Mehrere Lehrer und Therapeutinnen der Schule begleiteten uns dabei. Dr. Anne Daniel-Karlsen, anthroposophische Kinder- und Jugendpsychiaterin, empfing uns herzlich. Das Ziel dieses Therapiezentrums ist in erster Linie die Unterstützung der psychischen, emotionalen, sozialen, pädagogischen und kognitiven Entwicklung junger Menschen, die unter den psychischen Folgen traumatischer Misshandlungen (sexuelle, psychische, körperliche Gewalt, einschließlich häuslicher Gewalt) leiden. In dieser sicheren Umgebung arbeitet das Team aus Therapeut:innen und Berater:innen rund um die Uhr für sechs Kinder. Anne sprach bewegend über die tiefgreifenden Auswirkungen von Traumata und die dringende Notwendigkeit einer intensiven, beziehungsorientierten Betreuung, um jungen Menschen zu helfen, sich zu erholen, ihr Selbstwertgefühl wieder aufzubauen und wieder einen Sinn in ihrem Leben zu finden.

Nach der Führung hatten wir ein interessantes Gespräch über einige anthroposophische Erkenntnisse zu Angst und die Ursachen von (Selbst-)Aggression bei diesen jungen Menschen sowie über die Ideen Rudolf Steiners zur Entwicklung einer hilfreichen Haltung, die Verbindung, Bindung, Sicherheit und Mut schafft.

Es war sehr beunruhigend zu hören, dass dieses einzigartige und dringend benötigte Zentrum nun bedroht ist.

 

Am späten Nachmittag konnten wir Maarja Küla außerhalb von Tartu mitten in der Natur besuchen, eine Wohngemeinschaft unter anderem für ehemalige Schüler:innen der Maarja-Schule. Dort wurden wir von der neu ernannten Direktorin Epp Schmidt herzlich empfangen.

Die Wohnsiedlung liegt in einer sehr ruhigen, waldreichen Gegend, feierte gerade ihr 25-jähriges Bestehen und bietet auch Arbeitsmöglichkeiten in verschiedenen Werkstätten sowie einen Gemüsegarten, der auch für den praktischen Unterricht einer nahe gelegenen Schule für Landwirtschaft und Gartenbau genutzt wird, mit der die Gemeinschaft zusammenarbeitet.

Am letzten Tag kehrten wir nach Tallinn zurück, um die Hilariuse-Schule zu besuchen, wo uns die Schulleiterin Kristin Meigas begrüßte und ich gebeten wurde, Schüler:innen der dritten und siebten Klasse zu beobachten, die manchmal aggressives Verhalten zeigten. Anschließend konnte ich meine Beobachtungen mit dem Lehrpersonal besprechen und praktische Ratschläge geben, die auf meinen eigenen Erfahrungen und auf Rudolf Steiners Heilpädagogischem Kurs basieren.

Die Intensität dieser Reise, bei der wir in kurzer Zeit so viele Einrichtungen besucht haben, machte diese sehr wertvoll. Es war ermutigend, das große Engagement so vieler Pädagog:innen, Betreuer:innen sowie Therapeut:innen zu erleben und die Möglichkeiten für eine internationale Vernetzung durch unsere Sektion anzusprechen. Wir möchten diese Beziehungen ausbauen und diese wichtige Arbeit gemeinsam fortzusetzen.